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Ausserhalb der Komfortzone


05. Mai 2023

Ausserhalb der Komfortzone

  • Erlebt und geschrieben von Irene Lang
Groundhandling bringt Sicherheit für die Schirmbeherrschung. So sagt man.
Groundhandling bringt Sicherheit für die Schirmbeherrschung. So sagt man.

Soo viele Flüge! Von seidenfein, über sportlich bis schrecklich unangenehm. Alpen, Apennin, Pyrenäen oder Balkan. Von der Schweiz nach Sizilien, Griechenland und nach Osten bis Portugal. Auch ein paar Flüge in Equador. Möglichst oft in der Luft rumzukurven ist einfach schön oder zumindest lehrreich. In geschätzt fast der Hälfte meiner 2500 Flüge startete ich auf der Alp Scheidegg, meinem Lieblingsstartplatz, denn da sind auch immer die Kolleginnen und Kollegen zum Austauschen, Quatschen und Witzeln.

Nun reflektiere ich jedoch einen Flug, der eher am oberen Ende der Sportlichkeit anzusetzen ist. Letzte Woche war ich in Andy Flüelers einwöchigem San Fermo Camp, hinter Bergamo. Am zweiten Tag war laut der morgendlichen Analyse der Wetterdaten in der Gruppe gute Thermik angesagt. Andy zeigte uns eine mögliche Flugroute über zwei Gipfel zurück zum Startplatz auf 1300 m. Toll, das möchte ich doch versuchen!

Als ich kurz nach dem Mittag startete, drehte ich im Tal östlich des Startplatzes in einem angenehmen Schlauch auf 2000 m an die Basis auf. Mit dieser Höhe sollte ich doch easy über den 1200 m hohen Monte di Grone kommen, dort nochmals aufdrehen und dann die Talquerung in Angriff nehmen können. Leider fand ich um diesen Berg rum keine guten Aufwinde und ich flog zurück zum ersten Schlauch, der mich nochmals auf 2000 m hievte. Janu, dann steuere ich halt direkt auf die grosse Talquerung zu. Diese war jedoch sehr turbulent und ich sank nur noch, sodass ich zurückflog, um mit noch mehr Höhe – die Basis war nun etwas gestiegen - einen zweiten Anlauf zu starten. Mit 4,5 m Steigen erreichte ich zügig die Basis, allerdings fühlte ich mich immer unwohler, da es von allen Seiten her kübelte. Ich fasste an meinen Notschirmgriff und stellte mir vor, wie, in welche Richtung und wie heftig ich diesen ziehen würde. Das beruhigte mich. Doch gleich darauf wollte mein Schirm nach vorne ausbrechen. So nicht! Mit einem impulsiven Zug an den Bremsen brachte ich die Kappe wieder über mich. Beim Suchen nach einem ruhigeren Spot machte der Schirm über mir irgendwelche Kapriolen: Ich sackte plötzlich durch, keine Ahnung, was da los war, zum Hochschauen blieb mir keine Zeit. Mit intuitivem Loslassen und Ziehen der Bremsen nahm der Schirm Fahrt auf und ich konnte an einem anderen Ort wieder steigen. Nun folgte der zweite Anlauf, aus dem Seitental raus ins Haupttal, um zum gegenüberliegenden Berg zu fliegen. Wieder verlor ich bei der Querung viel Höhe, trotz mässigem Einsatz des Beschleunigers. So erreichte ich die sonnenbeschienene mit einem Felsband durchsetzte Seite unterhalb der Krete. Irgendwo muss es doch gehen, ich flog etwas raus, näher ans Gelände - nein.

Also Plan B: Rausfliegen, um den Berg rum, zum entfernten Landeplatz im Tal. Das wird wohl reichen, ich habe Rückenwind, sonst Plan C. Welche Wiese würde sich für eine Aussenlandung anbieten? Ist sie nicht mit Leitungen durchzogen oder mit Weinstöcken bepflanzt? Nicht zu lange hinschauen, denn ich will ja noch weiterfliegen und nicht dort absitzen! Schliesslich erreiche ich den Landeplatz mit genügend Höhe und setze sanft auf. Nicht ganz geschafft, nicht der schönste Flug – aber extrem lehrreich. Wer sich süferli an die Grenzen der Komfortzone rantastet und mal etwas darüber rausfliegt, gewinnt Sicherheit.

Irene Lang

Fritz Härtli wird die nächste Stafettenfolge übernehmen.

      Innerhalb der Komfortzone zum Lago d’Iseo, bei schwacher Thermik.