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Aussergewöhnliche Überraschung


21. Februar 2023

Aussergewöhnliche Überraschung

  • Erlebt und geschrieben von Andy Schumacher

Drückende 36 Grad im Schatten - und das am 6. September – zwingen uns, den Nachmittag mit etwas Siesta im Motelzimmer zu verbringen. Zeit, um aus den GoPro-Aufnahmen der vergangenen Tage ein paar Filme zusammen zu schneiden.

Seit gut einer Woche sind mein Freund Taggi und ich zusammen mit Stacy, unserem amerikanischen Fliegerkollegen, der auch als unser Fahrer fungiert, unterwegs durch die Rocky Mountains, um die vielschichtigen und zum Teil abenteuerlichen Fluggebiete zu erkunden und zu befliegen.

Nun sind wir also wieder einmal in Glenwood Springs. Es ist eine überschaubare, klassische Kleinstadt im Bundesstaat Colorado mit ca. 10'000 Einwohnern und liegt auf 1750 Meter über Meer. Eingebettet in ein Tal – oder Canyon, wie man hier sagt –, das Ost und West über die Interstate 70 miteinander verbindet.

Der Plan ist, gegen Abend auf den Hügel oberhalb von Glenwood Springs zu fahren - zu den Antennen -, um dort noch einen gemütlichen Abendsoaring-Flug zu geniessen. Nachmittags fliegt «man» dort nicht, wurde uns in der lokalen Flugschule bestätigt, da die thermischen Turbulenzen gepaart mit den Talwindsystemen in den engen Canyons kein sicheres Fliegen versprechen. Aber abends gibt es meist noch ein Zeitfenster, in dem es sich gemütlich Soaren und den Tag ausklingen lässt.

So fahren wir um 16.30 Uhr los, um nach ca. 45 Min Fahrt – der grösste Teil des Weges führt über sog. Dirt Roads (unbefestigte Strassen) - auf dem Lookout Mountain anzukommen und anschliessend, falls die Windrichtung stimmen sollte, gleich zu starten.

Oben angekommen, kommt der Wind «sidefiin» mit ca. 10-15 km/h die Flanke hoch, was einen spielerischen Soaringflug verspricht. Stacy wird heute leider nicht fliegen können, da ja jemand das Auto wieder ins Tal bringen muss. Im Wissen, dass Taggi etwas länger braucht, bis er startklar ist, und ihn Stacy beim Start etwas unterstützen kann, mache ich mich gleich ans Auspacken.

Achtung, fertig, los und schon schwirre ich am Startplatz hin und her.

Es macht Spass, so knapp über das Gelände zu fliegen, wohlwissentlich, dass man nicht «absaufen» kann. Wenn die Geier, die ansonsten auf dem Funkturm sitzen, rausfliegen, ist es meist ein klares Zeichen, dass wieder eine thermische Ablösung kommt. Ich folge ihrem Beispiel und kann mit ein paar Kreisen 50 – 100 m überhöhen.

Mittlerweile ist Taggi auch in der Luft und gemeinsam geniessen wir den erwarteten Abendflug.

Doch auf einmal sehe ich Taggi nicht mehr. Wo ist er hin? Einige hundert Meter links und rechts vom Startplatz ist kein Schirm zu sehen. Ich schaue hoch und da schraubt er sich doch gemütlich ca. 300 m über mir in den Himmel. In dem Moment fängt mein Vario an zu piepsen. Nicht übermütig, aber mit feinen 2.5 m/s geht’s langsam Richtung Himmel. «So cool», sag ich mir und bin erstaunt, dass es immer weiter steigt.

Der Landeplatz im Tal liegt auf ca. 1800 m und unser Startplatz auf 2400 m.

Normalerweise fliegt man hier eine Weile plus minus auf Startplatzhöhe und geht dann, bei Sonnenuntergang, der in dieser Jahreszeit so ca. um 19.15 Uhr einsetzt, langsam Richtung Landeplatz. Doch heute scheint es ganz anders zu sein. Kontinuierlich geht’s es hoch, in einem Zug bis auf 4000 m. Wow!

Die Sicht da oben ist durch Waldbrände getrübt, die 800 km im Norden in Oregon und Idaho wüten, aber dies tut meiner Begeisterung, über den unerwarteten Höhenflug, keinen Abbruch.

Etwas orientierungslos fliege ich in der Gegend rum, immer noch erstaunt über dieses unerwartete Geschenk und ziehe meine Jacke über meine Handgelenke. Habe ich doch nur die ganz leichte Jacke angezogen und hier oben wird’s dann doch etwas kühl.

 

Leicht unentschlossen fliege ich ein paar Kilometer Richtung Osten, mit dem offiziellen Landeplatz im Gleitwinkel-Bereich. Taggi ist in die andere Richtung geflogen und wird sicherlich nachher am Landeplatz landen, denke ich mir. Soll ich noch wegfliegen? So spät noch auf Strecke gehen? Die Rückholung ist, dank  unserem Fahrer Stacy, kein Thema, aber wir haben doch gesagt, wir treffen uns am Landeplatz!? Aber jetzt einfach mehr als 2000 Meter vernichten, um da unten zu landen, macht auch keinen Sinn. Also los!

Ich folge eine Weile dem Haupt-Canyon und schiele auf den majestätischen Mount Sopris der in ca. 50 km Ferne in den Himmel ragt und geniesse den Flug.

Da fällt mir auf, dass ich gar keine Höhe verliere. Fliege ich doch schon ca. 10 Minuten gerade aus und bin höher als noch zuvor – das ist mir auch noch nie passiert. Ich hatte gar nicht auf mein Vario geachtet, doch nun fällt es mir auf. Ich habe ein stetiges Steigen von 0.5 – 1 m/s im Geradeaus-Flug.

Wie geil ist das denn!? Ich nehme mir die Ortschaft Basalt als Ziel. Es liegt am Ende der Hochebene, über die ich gerade fliege und auch wenn es runter gehen sollte, Landeplätze gibt’s genügend.

Immer noch sprachlos, über das, was gerade geschieht, lasse ich mein Vario nicht mehr aus den Augen.

4200 and climbing… ich fange an, mit dem Beschleuniger zu spielen. Ob ich den Beschleuniger halb oder ganz drücke, scheint mein Steigen nicht zu beeindrucken; es steigt fein und konstant weiter bis auf 4400 amsl.

Seit 30 Minuten fliege ich nun gerade aus – einen Kreis habe ich nur gemacht, um einmal zurückzuschauen – und ich verliere keine Höhe. Das habe ich noch nie erlebt – wie verrückt ist das denn?

Immer noch «geflashed» von diesem zwar sehr unspektakulären und doch so aussergewöhnlichen Flug, kommt die Ortschaft Basalt immer näher. Ich überlege, wie weit es noch wäre, um bis nach Aspen zu fliegen und ob’s da wohl immer noch so tragen würde. Wie es so ist; man fängt an die Bergflanken, die Täler etc. zu observieren – Wind, Aussenlande-Möglichkeiten etc. – bis mir auffällt, dass die Sonne bereits den Horizont berührt. Immer noch auf 3900 m merke ich, dass mir das Tageslicht ausgeht und ich mein Vorhaben fallen lassen muss. Also fasse ich langsam einen Landeplatz ins Auge.

Basalt liegt eingebettet zwischen mehreren Bergen und mehrere Täler kommen da zusammen. Dies scheint nicht der optimale Platz zum Landen zu sein. Also Rechtsumkehrt und zurück nach El Jebel, wo ich schon im Hinflug einen riesigen Sportplatz resp. Wiese ausgemacht hatte.

Es stink mir ein wenig, 2000 Meter Höhe zu vernichten, nur weil mir das Licht ausgeht!

Doch im Dunkeln landen ist keine Option. Ich schätze, dass es am Landeplatz noch ca. 20-30 Minuten Licht hat, denn die Sonne ist bei mir oben am Untergehen. Am Talboden ist schon seit 30 Minuten keine Sonne mehr zu sehen.

Widerwillig und immer noch, mit leichtem Steigen im Geradeaus-Flug, fange ich an, eine feine Steilspirale zu fliegen. Langsam geht’s runter. Sobald ich jedoch die Kreise wieder ausleite und geradeaus fliege, bleibe ich fast auf der gleichen Höhe.

Ich nehme die Ohren rein und fliege beschleunigt auf die riesige Wiese, als ich bemerke, dass ich nur noch knapp 10 km/h Vorwärtsfahrt habe. Ohren wieder raus und Normalflug; 2-5 km/h vorwärts zeigt mein Vario an. Was ist denn jetzt los? Mein Meteo-Hirn fängt an zu rattern. Hinter dem Dorf ist ein breiter grosser Berg, der nun im Schatten liegt – Scheisse, ein katabatischer Fallwind, der mir mit ca. 30 km/h genau ins Gesicht bläst. Muss der nun genau gegen mich blasen? Das ausgesuchte Landefeld ist noch ca. 1 km vor mir und auf einmal habe ich es nicht mehr so eilig, meine Höhe zu verlieren. Ab in den Stampfer und Vollgas in Richtung Wiese. Da hat’s noch einen Fluss – schaff ich’s da rüber? Wenn nicht, wo gibt’s hinter mir noch Landemöglichkeiten?

Auf einmal ist die ganze Gemütlichkeit der letzten 2 Stunden verflogen und Anspannung macht sich breit. Es gäbe da hinten das eine oder andere kleine Feld, aber weit weg von jeder Strasse.

«Das reicht! Das muss reichen!», sag ich mir und versuche instinktiv den voll durchgetretenen Beschleuniger noch mehr durchzutreten – ohne Erfolg!

Bange Minuten verstreichen, in denen ich mich – gefühlt, Meter um Meter - in Richtung Sportplatz kämpfe, immer mit Blick aufs Vario: 3km/h – 7km/h – 5 km/h.

Die letzten 500 Höhenmeter verschaffen mir gefühlt nur ca. 200 Meter Vorwärtsfahrt.

So die Arschbacken zusammengekniffen, habe ich mir auch schon lange nicht mehr… natürlich nur vor lauter Beschleuniger drücken..:-)

Schlussendlich hat’s noch gereicht, um auf der Wiese zu landen, bevor es ganz dunkel wurde. Zum Glück hat in den letzten 100 Höhenmetern die Stärke des Windes auf ca. 20 km/h nachgelassen, so dass eine sichere Landung möglich war.

Trotz den eher angespannten letzten 20 Minuten, ist dieser Flug, mit einer Stunde Geradeausflug und stetigem Steigen, einer meiner bemerkenswertesten Flüge, der mir immer in Erinnerung bleiben wird.

Falls du bis hier gelesen hast, danke ich dir für deine Aufmerksamkeit und hoffe, dich ein wenig auf diesen Flug mitgenommen zu haben.

Gerne nominiere ich für den nächsten Flugstafetten-Bericht Michael Gübeli und freue mich bereits jetzt auf seine Erzählungen.

 

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