Zum Hauptinhalt springen

Flachlandfliegen in Südamerika


20. Dezember 2024

Flachlandfliegen in Südamerika

  • Erlebt und geschrieben von Peter Altherr

Das Flugjahr 2024 hat für mich im Januar mit der Flugreise des Flycenters in die Pampa von Uruguay und Argentinien angefangen und im November nach einer zweiten Reise in Brasiliens Nord-Osten aufgehört. Beiden Reisen gemeinsam war die Organisation und Betreuung vor Ort durch das Team von Fly-with-Andy:

Windenschlepp, One-way-Flüge in Windrichtung und nach der Landung irgendwo der Rücktransport durch die Fahrer des Teams.

Das Fliegen über flaches Land ist faszinierend. Ich habe unvergessliche Eindrücke gesammelt und auf beiden Reisen viel dazu gelernt. Darüber möchte ich berichten.

 

Der Start an der Winde:

Nach dem Einklinken in die Schleppleine zieht man den Schirm bei wenig Wind am einfachsten vorwärts hoch. Mit zunehmender Windstärke ist Rückwärts- oder Cobrastart nötig. Da hat sich das gelegentliche Groundhandling auf der Scheidegg gelohnt, auch wenn nicht immer alles auf Anhieb geklappt hat.

Der zunehmende Zug der Windenleine ist beim rückwärts Aufziehen anfangs irritierend. Nach dem Ausdrehen genügen aber meist ein paar wenige Schritte und es fliegt. Dabei hängt der Schirm deutlich hinter dem Kopf und je nach dem steigt es schon hier rasant. Die ersten 50 Meter sind die heikelsten. Kursabweichungen, Böen oder Seitenwind verlangen deutliche Steuerimpulse um auf jeden Fall ein seitliches Abkippen des Schirms zu vermeiden.

 

 

Fliegst du während dem Schlepp in eine Thermik oder eine Böe rein, zerrt es schon gehörig am Gurtzeug und der Schirm kippt noch weiter nach hinten. Ehrlich gesagt, so richtig genossen habe ich die Windenschlepps trotz Gewöhnungseffekt nicht. Aber eigentlich ist das Schleppen ja nur eine Alternative zur Anreise an den Startplatz. Die holprigen Fahrten auf einen Berg im überfüllten Auto sind auch nicht immer lustig.

 

Der Flug:

Je nach Länge der Schleppstrecke und Windstärke liegt die Ausklinkhöhe bei 400m - 600m über Grund, ganz selten höher. Es bleibt nur wenig Zeit, die sensationelle Aussicht zu geniessen, die sich über dem Flachland auftut. Denn jetzt gilt es einfach nicht abzusaufen! Es ist vielleicht 10 Uhr. Typischerweise hat es um diese Tageszeit viele kleine Kumulifetzen, die Luft ist noch feucht, die Basis tief. Die Thermik ist schwach und unzuverlässig. Ich stelle mir viele kleine Blasen im Mineralwasserglas vor, die planlos aufsteigen. Eine solche Blase muss ich jetzt erwischen!

Manchmal helfen Vögel. Die vor mir geschleppten kreisenden Kolleg/innen sind mit dem Wind meist schon zu weit weg und bis du dort wärst, ist die Blase durch. Den schönen Scheidegg-Standardschlauch gibt es im Flachen einfach nicht.

Mit Glück gibt das Vario gleich nach dem Klinken an. Oder du fliegst den Luftraum auf der Suche nach einem Steigen in Windrichtung ab, mal etwas links, mal rechts. Volle Aufmerksamkeit mit allen Sinnen ist gefragt.

Erstaunlicherweise hatte ich den Einstieg fast immer auf Anhieb gefunden und brauchte selten mehrere Windenschlepps. Meine Probleme begannen jeweils eine gute Stunde später.

 

Aber hast du erst einmal 1000m über Boden erreicht, stellt sich eine gewisse Entspannung ein. Jetzt das Auge schweifen lassen, beim Kreisen den Horizont abscannen. Was in Uruguay unendliches grünes Weideland war, ist in Brasilen in dieser Jahreszeit braunes Buschland, durchzogen von kleinen Siedlungen, Farmen, Fluss- und Bachläufen. Es sieht aus, als wäre die Erde doch eine Scheibe!

 

Nach einer Weile schaue ich auf dem XC-Track, wo ich eigentlich bin. Befinde mich plusminus noch auf der vorgeschlagenen Route, unten ist die geteerte Hauptstrasse zu sehen. Ich drehe jede Thermik bis zu Schluss aus und bin inzwischen rund 30 km weit gekommen.

Das Fliegen zur nächsten Wolke klappt gut. Die Basis steigt langsam an, es hat vielleicht 15 km/h Wind. Auch wenn ich mich mit einem Nullschieber parkiere, komme ich dank dem Windversatz weiter vorwärts.

 

Es geht jetzt langsam gegen Mittag. Die Sonne brennt die Feuchtigkeit weg und die Fortsetzung der schönen Wolkenstrasse von vorhin - geht ins Blaue.

Die nächste Wolke bleibt unerreichbar weit weg. Meine gemütliche Thermik schwächelt und gibt auf. Jetzt muss ich los. Ich fliege mit dem Wind leicht im Gas. Die Höhe schwindet schnell, Wo ist die nächste Blase? Keine Vögel, keine Wolke. Ich fange an, Landeplätze zu suchen. Gross genug für eine Landung mit viel Wind, keine Hindernisse, eine Strasse für die Rückholung in der Nähe.

 

Die Geschichte bis zu diesem Punkt wiederholte sich so oder ähnlich mehrmals. Vielleicht liegt es daran, dass ich in meinem bisherigen Pilotenleben nach ein bis zwei Stunden Flug jeweils genug hatte und landen ging und das so verinnerlicht habe. Oder es handelt sich um eine Art Phasenwechsel beim Flachlandfliegen, den es zu überstehen gilt. Jedenfalls bin ich an dieser Stelle bei etwa der Hälfte meiner Flüge abgestanden.

 

Absaufen:

Nach der wegen dem Wind mehr oder weniger stressigen Landung an einem Ort auf der Weltkarte, an den ich auf andere Art nie im Leben hingekommen wäre, mehrmals die gleiche Szene: Leute winken, eilen herbei, helfen mir über den Stacheldrahtzaun, bringen mich an einen Schattenplatz, helfen beim Zusammenlegen. Fragen mich aus. Mit Händen und Füssen und Google-Translator. Aus welchem Flugzeug bist du abgesprungen? Und so, wie in diesem ziemlich abgelegenen Weiler: Sie bieten zuerst einen Stuhl am Schatten an und bringen eine frische Kokosnuss zu Trinken. So vergeht die Zeit bis zum Rückholservice im Flug. Absaufen hat auch seinen Reiz!

 

 

Weiterfliegen:

(du kannst ja später jederzeit wieder landen)

Die andere Hälfte der Flüge ging nach der schwierigen Phase weiter, einmal mit viel Glück nach einem very-low-safe, die Füsse schon aus dem Beinsack.

 

Die Belohnung für den Krampf nach der »blauen Krise« folgt. Denn am Nachmittag steigt die Basis typischerweise weiter an, vielleicht gegen 3’000m. Die Wolken werden wieder grösser, ebenso die Abstände zwischen den Wolken. Die Thermik wird viel stärker. Weil sie in der Regel sehr grossflächig ist, merkst du nur am Varioton, dass es mit 5m/s steigt. Aber das Sinken zwischen den Aufwinden nimmt ebenfalls zu und manchmal dauert es eine Ewigkeit, bis der Sinkalarm wieder Ruhe gibt. In dieser Phase kam sogar ein Langsamflieger wie ich ordentlich vorwärts und ich habe dreimal hintereinander die 100km-Grenze geknackt.

 

 

Im Flachland habe ich meine persönlichen Grenzen verschoben. Ich habe die weitesten und längsten Flüge meiner über 30 Fliegerjahre vor ein paar Wochen in Brasilien gemacht. Ich weiss, dass diese im Vergleich zu den Rekordflügen in dieser Gegend lächerlich kurz sind, aber mir bedeutet es schon etwas, dass ich meinen langjährigen Voralpen-Horizont mit den Flachlandflügen in der faszinierenden Landschaft in Südamerika etwas erweitern konnte.

 

 

PS: Ich übergebe die Stafette an Werner Dönni und bin gespannt auf seinen Bericht.

 

Peter