Scheidegg - Tiefencastel einfach
Scheidegg - Tiefencastel einfach
-
Erlebt und geschrieben von Jan Wüst
Es war Sonntag, und ich studierte die Thermikprognosen für nächste Woche.
Schon da war der Donnerstag DER Tag der Woche für einen Streckenflug. Glücklicherweise war dann mein Chef so flexibel! Ich konnte mir den Donnerstag für das Fliegen reservieren.
Da ich diese Saison schon sehr coole und für mich weite Biwakflüge realisieren konnte, war nun wirklich mal mein erster 100 km - Flug ab der Scheidegg fällig. Diesen Traum hegte ich schon länger, und schon sehr oft besuchte ich Amden oder auch Appenzell, wo es natürlich auch sehr schön ist, jedoch ohne dass es mein Ziel war, dort zu landen.
Nun aber zurück zum Donnerstag, dem 13 Juni 2024. Am Morgen waren noch vereinzelte Schauer angesagt, bis um 12 Uhr, und ich glaube, die gab es auch vereinzelt. Darum entschied ich mich dafür, am Vormittag doch noch zu arbeiten. Um 11:30 Uhr konnte ich den "Pickel" hinschmeissen, und ich machte mich direkt auf den Weg zur Scheidegg.
Um 12:00 Uhr sah es am Startplatz nicht wirklich nach einem Hammertag aus. Dank der feuchten Luft bildeten sich schon grosse Quellwolken, und dadurch war es eigentlich nur noch am Bachtel sonnig. Ich nahm mir zehn Minuten Zeit, um den richtigen Moment zu erwischen. Um nicht schon nach fünf Minuten im Hüebli zu stehen…
Der Plan ging auf, und ich hing acht Minuten nach dem Start schon unter dem Luftraumdeckel. Also so schnell wie möglich weiter, Richtung Ricken. Am Chrinnenberg gab’s keine Thermik, und am Ricken gab es viel Schatten. Nur über Gebertingen hatte es sonnenbeschienene Flächen, also war das mein nächstes Ziel. Ich konnte mich dort tief unten wieder ausgraben, aber der Schlauch war schwach und deshalb die Chance gross, irgendwo eine bessere Thermik zu erwischen. Also weiter Richtung Rieden. Die Ridge funktionierte sehr gut, und ich musste mich entscheiden, Toggenburg, oder doch besser die Churfirsten? Ich zweifelte noch, ob das wirklich der Supertag sein sollte, mit den guten Thermikprognosen. Die Basis war immer noch sehr tief und deutlich unter dem Speer. Am Chli Speer war ich tief, und es hatte nur bei der Oberen Rossalp Sonneneinstrahlung.
Ich konnte gerade so viel Höhe machen, um über dem Speer einen Vollkreis zu fliegen und den zwei Frauen auf dem Speerbänkli zuzuwinken. Ganz unverhofft flog ich dann dort in eine Thermik, die eine deutlich höhere Basis hatte als die Thermiken zuvor. Neben der Wolke drehte ich immer höher und liess den Speer unter mir. Nun war die Entscheidung klar: Weiter Richtung Churfirsten. Amden war mit dieser Höhe ein Kinderspiel. Ich fühlte mich, als hätte ich heute den Hüsliberg mit der tiefen Basis und Amden mit den schwierigen Winden komplett ausgetrickst =). Nun war die nächste Entscheidung fällig: Churfisten - Nordseite, im Luv, oder Südseite, eventuell ein wenig im Lee? Die Windwerte am Chäserrugg versprachen nur wenig Wind, und ich entschied mich für die Südseite. Mit genügend Abstand flog ich Richtung Walenstadtberg. Es war eine lebendige Luft, aber es fühlte sich ganz gut an. Die Basis war gerade so auf 2100 m, dadurch blieb die Sicht auf die Churfirsten eingeschränkt.
Beim Bergsattel Nideri blickte ich Richtung Rheintal, und konnte einem Regenschauer zusehen.
Also weiter zum Sichelchamm, der auch an diesem Tag schwierig und irgendwie überspült war. Weiter Richtung Gamsberg. Dort war eine zünftige Waschmaschine am Laufen, +/- 6 Meter pro Sekunde wechselte sich Steigen und Sinken ab, in schnellem Takt. Also Flucht nach vorne! Am Alvier war die Welt wieder in Ordnung, und die Nordseite hatte sehr tiefe Wolken, was sehr schön aussah. Nun galt es, das Rheintal zu queren.
Ich flog die Mittagspitze ob Balzers an, um dort, tief angekommen, im Talwind aufsoaren zu können. Dann merkte ich aber einen deutlichen Wind, der ungefähr aus der Richtung Steg (FL) kam. Also musste ich gegen den Wind fliegen, der gefühlt vom Hang herkam. Ich bastelte eine Zeitlang rum, bis ich wieder an die Basis kam. Da ich noch nie im Liechtensteinischen geflogen bin, dachte ich, es wäre schön, Richtung Kuhgrat / Drei Schwestern zu fliegen. Was ich jedoch ziemlich schnell verworfen hatte, wegen des herrschenden Gegenwinds.
Also 180 Grad wenden, und ab in Richtung Bündner Herrschaft.
Beim Mittlerspitz konnte ich gerade so über den Sattel schleichen, bevor es wieder einen leichten Spülgang gab bis vor dem Tannkopf.
Hier hatte ich eine sehr schöne Thermik erwischt, die richtig gut nach Lärchennadeln duftete.
Danach weiter in Richtung Vilan. Dort traf ich zwei grosse Adler, die auf den Felsvorsprüngen Ausschau hielten. Einer dieser Adler fühlte sich gestört, startete und etwas später machte er einen Sturzflug, was sehr spektakulär aussah, ich aber eigentlich nicht wirklich aus der Nähe begutachten wollte.
Am Vilan fand ich nicht den erhofften Aufwind, also weiter in Richtung Sassauna /Prättigau. Die Wolken zeigten die Aufwinde sehr schön. Und die Querung zum Chrüz war ziemlich einfach. Weiter in Richtung Klosters. Von weitem sah man es in Richtung Engadin regnen, was mir auf der Höhe Klosters nicht mehr so gefiel. Ich entschied mich zur Flucht in Richtung Davos. Ich wollte noch den 100 Kilometer - Flug schaffen, und alles andere wäre bloss noch eine Zugabe gewesen. Beim Büelenberg hatte ich es geschafft, und ich jauchzte vor Freude! Jedoch forderte mich der Büelenberg genug, um wieder fokussiert nach "Höhe" zu suchen. Die Winde waren stark, aber irgendwie ging es nicht zum Soaren, und auch die Thermik auszudrehen gelang mir nicht so richtig. Also weiter in Richtung Jakobshorn. Das ging wieder richtig gut, mit dem Talwind, und ich freute mich über den leuchtblauen Kunstsee und natürlich über das Überfliegen der Bergstation. Ich glaube, bei Davos Monstein stand eine Konvergenz aus den beiden Talwinden. Ich konnte bis 3300 Meter aufdrehen, und die imposante Bergwelt war überwältigend. Der Piz Kesch gefiel mir am besten. Danach war ich etwas planlos, und ich versank langsam im Talwind, der von Tiefencastel herkam. Es war noch ein sehr schönes Abendsoaring an einem Ort, an dem ich bisher noch nie war. Vom Fuss des Motta Palousa konnte ich den Felssturz von Brienz begutachten. Ich machte noch ein wenig Höhe, deshalb hatte ich schon den Plan, weiterzufliegen in Richtung Thusis. Das war aber etwas utopisch, um diese Zeit, mit der geringen Höhe und dem starken Wind. Also flog ich noch über das Bergsturzgebiet und checkte auf dem Handy die Zugverbindungen: Ich hatte noch 15 Minuten, bis der Zug ankam. Also blieb nur Zeit für eine Punktlandung direkt am Bahnhof und das Zusammenpacken auf dem Bahnhofsplatz.
Schliesslich hatte der Zug noch fünf Minuten Verspätung. Es reichte mir also perfekt, um meine ganze Ausrüstung zusammenzupacken. Auch die Zugfahrt heimzu via Thusis gefiel mir sehr gut.
Was für ein Privileg, solche Abenteuer erleben zu dürfen!
Ich denke, das war nicht mein letztes Scheidegg – Abenteuer, und ich freue mich sehr auf weitere. Ich hoffe, ich konnte euch das Erlebte ein wenig verständlich wiedergeben, so dass auch ihr wieder mal versucht, auf eine Abenteuerreise zu gehen. Es lohnt sich immer:)
Jan Wüst
Den Stafettenstab gebe ich weiter an Kaspar Rüegg.