Vulkankrater, Tapas und Ron Miel – eine Fluggeschichte
Vulkankrater, Tapas und Ron Miel – eine Fluggeschichte
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Erlebt und geschrieben von Mario Ackermann

Danke, lieber Jürg, dass Du in Deiner Verzweiflung, einen weiteren Stafettenteilnehmer zu finden, an mich gedacht hast, um mir just vor dem Sommerloch diese Aufgabe der Berichterstattung aufzubürden. Ihr kennt ja das Sprichwort: Wer solche Freunde hat…na egal, lest selber:
Auch Anfangs Dezember 2016 sassen wir also wieder voller Vorfreude im Flugzeug Richtung Kanaren. Genauer gesagt waren wir auf dem Weg nach Lanzarote, wo uns nebst immer noch warmen Temperaturen in der Luft wie im Wasser, eine eigene Finca mit Pool, tolles Essen und diverse Startplätze in fast alle Himmelsrichtungen erwarteten.
Wie bald jedes Jahr zog es uns zu dritt, Thomas und Markus Brunner und mich, aus dem kalten und nebligen Schweizer Winterwetter an die Sonne. Da sich die Kanaren zwar im Atlantik befinden, aber auf derselben Höhe wie der Süden Marokkos, herrschen warme bis gemässigte Temperaturen das ganze Jahr über.
Die Vulkaninsel hatte es mir schon beim ersten Besuch vor vielen Jahren angetan. Die karge Schönheit der Natur, Marslandschaften, durchzogen mit Vulkanen und eingetrocknete Lavafelder wechseln sich mit der sehr spärlichen Vegetation ab. Zwischen all den Rotbraun - und Schwarztönen heben sich die weissen Häuser kontrastreich ab. Dies alles in das warme, spätherbstliche Sonnenlicht getaucht erfreut jedes Mal wieder meine Augen sowie meinen Geist.
Dieses Jahr musste es ab und zu geregnet haben, denn über der wüstenähnlichen Einöde machte sich tatsächlich ein hellgrüner Flaum bemerkbar. So waren einzelne Startplätze mit einem frischen Golfrasen überdeckt, was eher ungewöhnlich war.
Acht Tage fliegen, baden, gut essen und die Seele baumeln lassen waren angesagt. Vom Strandsoaren an der Playa Quemada, über Thermikflüge in La Asomada oder Arieta bis zu kleineren Streckenflügen an den Klippen von Orzola oder Famara war für jeden Geschmack etwas dabei. Immer vorausgesetzt, Windstärke und - Richtung passten. So kam es an manchen Tagen durchaus vor, dass wohl am einen Ort vormittags noch alles bestens für einen Flug stimmte, aber schon am Nachmittag war eine andere Ecke der Insel die bessere Wahl. Dann wurde entweder kurzerhand mit dem Mietwagen quer über die Insel gefahren, oder aber es ging zurück in die Finca, an den Pool. Da die Insel klein und entsprechend überschaubar ist, sind die meisten Fluggebiete innert 15-30 Minuten Autofahrt zu erreichen. So gab es immer mal wieder die eine oder andere Sternfahrt in den letzten Jahren, welche durch erfolgreiche Flüge gekrönt oder manchmal durch lange Gesichter geprägt war, da es halt am vermeintlich besseren Spot doch nicht so top war, wie erhofft.
Obwohl die Startplätze in ihrer Beschaffenheit unterschiedlicher nicht sein können (es reicht dies von feinem Vulkan-Kies über schieferartiges Gestein sowie Geröll bis zu scharfkantigen Lavasteinen), haben sie eines gemeinsam: Fast überall kann sich das Tuch oder die Leinen, schlimmstenfalls beides, im Gestein verheddern und beim Start im Starkwind zu Leinenrissen oder einem Schranz im Schirm führen.
Somit war es auch nicht verwunderlich, hatten wir altgediente Schirme mitgenommen, ich den mit Abstand Ältesten, meinen etwas in die Jahre gekommenen Advance Omega 6. Die eine oder andere Leine bereits ohne Mantel, ein mit Rip Stop sehr amateurhaft zusammengeflickter Schranz im Obersegel, welcher einer noch amateurhafteren, aber glimpflich ausgegangenen Baumlandung an der Scheidegg meinerseits geschuldet war (einige können sich vermutlich lebhaft daran erinnern). Dieser Schirm war auch dieses Mal mein treuer Begleiter auf den unwirtlichen Startplätzen von Lanzarote. Das meist raue Terrain, verbunden mit moderaten bis zuweilen starken Winden, bedingen ein hohes Mass an Schirmkontrolle und gut trainiertes Rückwärtsaufziehen. Dies kann durchaus auch den alten Hasen unter uns mal nicht ganz gelingen, und so zeugen einige Narben auch an meinen Beinen davon, dass es manchmal doch unverhofft etwas schneller oder unkontrollierter beim Start zu und her gehen kann.
Nun hatten wir die Ferien schon gut damit verbracht, vor allem auf der Ost-Seite der Insel zu fliegen, als der Wetterbericht für den kommenden Tag West – Nordwest Wind ansagte, was wieder einmal einen tollen Flugtag in Famara versprach. Man startet dort am südlichen Ausläufer einer kilometerlangen Hügelkette, die Höhendifferenz am Anfang gering, knapp 100m bestenfalls, und kann an guten Tagen die ganze Steilküste hoch über dem Meer bis an die Nordspitze von Lanzarote entlangfliegen. Die Aussicht ist jedes Mal atemberaubend, und dass unter der Steilküste auf weiten Teilen der Strecke keine Landemöglichkeiten bestehen, macht den Reiz des Fliegens in diesem Teil der Insel aus. Nach einem Morgenflug in La Asomada unweit unserer gemieteten Villa, machten wir uns dann nach einer Mittagspause am Pool auf nach Famara, wo der Startplatz schon gut von Piloten bevölkert war. Nebst ein paar Einheimischen hatten sich auch die zwei lokalen Flugreiseveranstalter hier eingefunden und warfen ihre Schützlinge mit vereinten Kräften gegen den straffen Wind in die Luft. So gondelten sie dann vor dem Startplatz herum, die einen sehr gekonnt, andere eher unbeholfen und vom zügigen Wind etwas überrascht. Dies taten sie mitunter gefolgt von den wachsamen Augen ihres Reiseleiters, welcher ab und an unverständliche Ratschläge ins Funkgerät an den Sven oder die Angelika zum Besten gab.
Funkgeräte haben wir zu dritt meist nur zwei, und davon ist nur eines aufgeladen … somit mussten wir auf eine Kommunikation via Funk in der Luft verzichten. Blieb also vor dem Start eine gemeinsame Flugplanung, an die sich kaum jemals einer von uns wirklich gehalten hatte, und die meist ultraknapp war, so dass jeder sich den Plan auch merken konnte: «Sieht gut aus, ja rauf halt, und dann möglichst der Klippe entlang»… Klipp und klar sozusagen! Somit hatten wir uns abgesprochen, und Thomi war bereits fulminant gestartet. Auch mein Start war sportlich, Wind hatte es am Startplatz genügend, somit hingen wir innert weniger Augenblicke ein paar Stockwerke über dem Startplatz, inmitten der Gleitschirm - Flugreisenden. Einzig Markus schien einen veritablen gordischen Knoten in den Leinen seines Schirms vorgefunden zu haben und war demzufolge noch immer gegroundet. Da Thomi und ich unterdessen eine angenehme Ausgangshöhe über dem Startplatz erreicht hatten, wollten wir dem Trubel hier entgehen und machten uns also wie geplant auf in Richtung Norden, wo die hohen Steilwände in der Ferne in die Höhe ragen. Einige Piloten waren bereits weit vor uns unterwegs, und so konnte man sie an der Krete im Aufwind tanzend sehen – ein gutes Zeichen, dass es an diesem Tag gute Bedingungen waren, um zum Mirador del Rio, dem Aussichtspunkt an der Nordspitze der Insel, und wieder zurückzufliegen.
Ganz so einfach ist es dann meist doch nicht. So ist die Krete anfangs teils mit tiefen Furchen durchzogen, welche das Aufwindband unterbrechen oder teilweise beschleunigen, so dass man an der Krete zwischenzeitlich aus dem Aufwindband fällt und geduldig etwas weiter unten wieder einsteigen muss, oder man lässt sich zu weit in die Furche hineintreiben und fliegt dann mühsam gegen den Wind wieder hinaus. So geht es die ersten Kilometer flott voran, mal muss ich mehr aufpassen, immer schön über der Krete zu bleiben, andere Male ist es gut möglich, ohne grossen Aufwand einfach weiter zu gleiten. Eine Schlüsselstelle, bevor man unten in die fast 700 m aufragenden Klippen einfliegen kann, gilt es aber vorher noch zu durchfliegen: Um die Klippen zu erreichen, gilt es, von der Krete, an welcher nun einige nach Norden unterwegs waren, an die nun vorne am Meer liegende Krete zu fliegen, dies entweder im vollen Gegenwind, oder im Lee. Beide Alternativen haben eines gemeinsam: Wer nicht wirklich hoch an der Krete abfliegen kann, wird mit 3-5 m Dauersinken bestraft und muss meist unter lautstarken Flüchen darauf hoffen, es um diese unsägliche Ecke herum zu schaffen, ohne vorher am Boden zu stehen oder hektisch wieder an die rettende Krete zurück zu fliegen, wo es wieder hoch geht, und allenfalls ein zweiter Versuch gewagt werden kann.
Vor mir war Thomi schon mitten in der knapp 1km langen «Flattersturz» - Gleitstrecke, und es sah gelinde gesagt nicht gerade ermutigend aus. Wie erwartet, kam auch ich kurze Zeit später in den Genuss des Spülgangs. Es blieb mir nichts anderes übrig, als halb im Beschleuniger schnellstmöglich durch die Abwindzone zu fliegen und immer darauf gefasst zu sein, dass jederzeit die Kalotte klappt oder komplett zerlegt wird. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich es aber zumindest aus dem Gröbsten raus geschafft, und zumindest schien es so, dass ich genug hoch um die Ecke rumkommen sollte, um im Aufwind der Steilküste all die verlorenen Höhenmeter wieder zu erkämpfen. Endlich piepte mein Vario wieder! Zwar noch verhalten, aber wenigstens fröhlich. Auch meine Laune besserte merklich, als ich nun im Aufwind an der Steilküste angekommen war, zwar noch ziemlich weit unten, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis ich bald wieder an der Basis war. So ging es ab da flott nach oben, da der Wind kräftig an der Wand nach oben stieg, und damit auch die Gleitschirme. Vor mir konnte ich zwei, drei andere Gleitschirme erkennen, aber von Thomi oder Markus weit und breit keine Spur. Ich musste Thomi in der Abwindzone verloren haben. Allerdings hatte ich mich auch nicht darum gekümmert, ihn in der Situation im Auge zu behalten, schliesslich hatte ich mit mir selbst und meinem Schirm schon genug zu tun. Nun gut, vielleicht war er ja vor mir und wir würden uns irgendwo wieder kreuzen, oder er war wieder Richtung Startplatz geflogen nach der Sinkpartie. Das anfänglich zögerliche Piepen meines Varios war unterdessen einem nervösen Stakkato gewichen und so ging es zeitweise mit über 5m/s der Wand entlang nach oben. Da es dadurch weiter oben etwas turbulenter wurde, war es nicht nötig, allzu nah an der schroffen Felswand zu fliegen. Ein genügender Sicherheitsabstand zum Fels liess etwas Spielraum, falls es an der Wand zum Klapper kommen sollte. Einem Miniwing - Piloten, nicht unweit vor meiner Position wurde dies urplötzlich bewusst, als der Pilot seinen Schirm sehr nahe an der Wand etwas gar abrupt unter Kontrolle bringen wollte und um ein Haar in die Felswand gekracht wäre. Auch ich war erschrocken, als ich die Situation mit ansehen musste, und mir nachher ausmalte, wie eine solche Rettungsaktion auf Lanzarote von sich gegangen wäre, 150m unter der Kante in der Felswand hängend, und knapp 500m weiter unter der fast senkrechten Wand das Meer. So ist der Pilot mit einem grossen und ich zumindest mit einem kleinen Schrecken davongekommen. Weiter flog er dann mit einem ziemlich grossen Abstand zur respekteinflössenden Wand. Ohne Mühe hatte ich bald die Klippe überhöht und die Wolkenbasis erreicht. So konnte man die Aussicht aufs Meer mit der vorgelagerten kleinen Insel La Graciosa geniessen. Der aufkommende Gedanke, nun einfach die kurze Distanz übers Meer anzutreten und drüben am Hafen zur Landung anzusetzen, wurde durch das Bewusstsein, dass dies eine teure Busse bedeuten könnte, jäh zu Nichte gemacht. Aber ich hatte noch einige Kilometer vor mir, vorbei an einigen Aussichtspunkten (Mirador) an der Steilklippe, wo man auch mit dem Fahrzeug hinkommt, wer es nicht fliegend bevorzugt. Der eine oder andere Gleitschirm kam mir nun entgegen, die waren vermutlich schon zurück vom Mirador del Rio, welcher auch mein Ziel war. Unter der Wolkenbasis, mit der Nachmittagssonne im Rücken mühelos dahingleiten, mit dem Geruch des Meeres und der Vulkaninsel in der Nase - diese Momente der Freiheit, das Verbundensein mit der Natur und das Wissen, auf Ihre Kräfte angewiesen zu sein, erfüllt mich immer wieder mit Freude und Demut. Das Bewusstsein, eines der wohl tollsten Hobbies zu haben, die man sich vorstellen kann. Vergessen der Fahrstuhl des Grauens nach unten noch vor einer halben Stunde, oder der beinahe Crash des Miniwing - Piloten. Einfach geniessen! Unter mir am Strand die Salinen, welche noch zur Meersalzgewinnung genutzt werden, tauchte schon bald der Mirador del Rio am Horizont auf. Eigentlich war es der Parkplatz, den man am Ende der Strasse zuerst sehen konnte. Hinten angekommen war es Ehrensache, ein paar Wingover mit abschliessendem Jauchzer für die zahlreichen Touristen auf der Aussichtsplattform zum Besten zu geben. Sie dankten mit Rufen und winkten, sicherlich schossen einige auch ein paar Fotos, wie ich mit dem Schirm vor der Insel La Graciosa vor Ihnen rumflog – ganz klar ein tolles Sujet ;-)… Nachdem ich mich am Mirador ausgetobt hatte, machte ich mich wieder auf den Rückflug. In den kurzen Hosen war es doch etwas kühler unter der Basis, und das leibliche Wohl blieb sprichwörtlich auch auf der Strecke. Gut beschleunigt flog ich so eine ganze Weile wieder der Sonne entgegen, die schroffe Felsklippe nun zu meiner Linken, und das Meer erstrahlte durch die schon tiefer stehende Sonne. Aber wo waren meine Freunde geblieben? Waren sie zurück an den Startplatz geflogen? Runter an den Strand? Oder waren sie erst jetzt auf dem Weg an die Nordspitze? Dann hätte ich sie aber vermutlich bald kreuzen sollen.
Ich entschied mich, Thomi kurz anzurufen, welcher zu meinem Erstaunen auch tatsächlich antwortete. Sie waren bereits beim Bier im Restaurante Sol in La Caleta de Famara, und ich solle mich beeilen, sie seien am Verhungern. Nun gut, ich könnte am Strand in Famara landen und den Rest zum Restaurant zu Fuss zurücklegen, aber mit so viel unsinniger Höhe konnte ich doch mal die Landemöglichkeiten vor dem Restaurant in Augenschein nehmen. Und wie vermutet, hatte es einen wohl kleinen, aber mit sauberer Landeeinteilung gut zu erreichenden Strand mit der Möglichkeit zur Showeinlage vor dem Restaurant. Einmal noch übers Meer vor dem Restaurant durchgeflogen, und dann im leichten Meerwind zur gelungenen Landung angesetzt, wo ich mit Applaus empfangen wurde. Ein krönender Abschluss eines tollen Fluges! Das Landebier und die anschliessenden Tapas im Restaurant waren hervorragend, und die dazu gehörenden Räubergeschichten, welche wir uns erzählten, waren wie immer haarsträubend…
So ging ein schöner Tag mit einem Glas Ron Miel in Famara zu Ende.
Ich freue mich, konnte ich für die nächste Folge der Fliegerstafette Jaco gewinnen. Er wird uns eine seiner Geschichten zum Besten zu geben.