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Unglaublich, aber es fliegt!


09. November 2023

Unglaublich, aber es fliegt!

  • Erlebt und geschrieben von Werner Gübeli

Am 14. Juli 2023 bin ich bewusst zu meinem letzten Flug auf der Alp Scheidegg gestartet. Dass das möglich war, ist das Verdienst der Clubgründer und all derer, die sich für die Erhaltung des Fluggebiets einsetzen. Unser erster Präsident, Willi Freudiger, erinnerte sich: „Im Winter 75/76 standen wir schlotternd und staunend am Übungshang der Schaufelbergeregg und träumten vom grossen Flug von der Scheidegg. Der Tag war kaum zu erwarten. So versuchten wir heimlich auch an Hügeln ausserhalb der Schule unsere Hüpfer. Unsere Gruppe wuchs zusammen auf der Alp. Und unsere Ikarus und Bora 100, vom angelockten Publikum bestaunt, flatterten sehr abwärts. Das grosse Ziel war, den Landeplatz zu erreichen. Ein reger Deltabetrieb bahnte sich an, und es gab die ersten Probleme. Es erwuchs Opposition. Landbesitzer, Strassenbenutzer, Spaziergänger, Jäger, Modellflieger und nicht zuletzt die Behörden empfanden unsere Anwesenheit von freundlich bis lästig. Es brauchte wenig Logik, um einzusehen, dass ein Club nötig war. Im Herbst 1976 war es so weit. Der DCZO wurde gegründet, mit der Hauptaufgabe, «Betreuung und Erhaltung der Alp Scheidegg als Deltafluggebiet». Es gab auch Gegner des jungen Clubs unter Fliegern, denn das Wort „Freies Fliegen“ war so etwas wie unantastbares Gut einiger Narren. Diese haben später oder gar nicht begriffen, wie abhängig wir von Start- und Landeplatz sind. Anfangs zählte unser Club 39 Mitglieder, und die bezahlten einen Jahresbeitrag von 70 Franken. Ja, der DCZO wurde als „Herrenclub“ kritisiert.

Am 17.September 1977 hielt ich das erste Mal in Hütten einen Delta in der Hand. Helm uuf, Gurtzüg iighänkt, Wind guet , Aastellwinkel guet, Flugruum frei, seckle… ich fliege, usstosse . Dieses Gefühl! Vielleicht 30m weit geflogen,und maximal 3 Meter hoch. Wieder ufe, Helm...,seckle, ufe, abe, ufe… Ja, seitdem glaube ich das nicht mehr mit dem Storch. Ab Dezember Höhenflüge mit Brandi. Er hatte schon einen offensiven Schulungsstil. Auf der Alp wurde nicht gestartet. Wir aber standen auf dem Föhnhoger. „Lueg e so gohts, muesch halt seckle“, und landisch det une im Fälmis“. Dieser Flugtag bescherte mir drei Flüge. Anderntags war der Säntis angesagt, weil unsere Landung in Wildhaus eine Flugschule bewerben sollte. Auf der Galerie war wenig Platz, und nach drei Schritten gings über die Kante. „Lueg, muesch seckle und dänn grad echli abtauche.“ Der Erststarter hat das Abtauchen nicht so ganz mitbekommen und musste von den Bergrettern ca 20 Meter weiter unten geholt werden. Unverletzt, also nöd schlimm. Wer lernt, zahlt Lehrgeld. Ja dann, Flugraum frei, drei Schritte … und ein perfekter Start schenkt mir über 1300 Höhenmeter und viel Zeit in der Luft. Was für ein Flug! Im Frühjahr 78 überhöhte ich als zweiter Pilot den Mattstock. Am nächsten Tag war auf der Scheidegg guter Aufwind. Sauberer Start. Und über dem Wald drehte ich in steigender Luft als erster Pilot ein, ohne bewusst Thermik zu fliegen. Thermik, was war das denn überhaupt? «Du fräche Siech! Hocksch dänn scho mol i de Bäum!» Das Ziel war nun, etwas länger zu fliegen als der andere.  Mein Hin- und Her wurde Scheideggrekord mit 3 Std. 45min.

Am 4. April 1978 musste der Präsi auf der Alp vermitteln, und er konnte ein Deltastartverbot abwenden. Darauf wurde dem Club mit dem zweiten Vertrag, gültig ein Jahr mit dreimonatiger Kündigungsfrist, die Verantwortung und die Verfügungsgewalt übertragen. Im Herbst wurde die 1.Int. Deltaflugmeisterschaft durchgeführt. An den Flugwochenenden gab es wegen Zuschauern meist ein Verkehrschaos auf der Tösstalstrasse, und das Polizeikommando verfügte ein Landeverbot. Mit viel Einsatz und mit Hilfe des SHV und der Gemeinde Wald konnte auch das abgewendet werden.

Damals galt: Wer ein guter Pilot werden will, fliegt Wettbewerb. Mein erster war die SM78 in Champousin im Wallis. Morgens um zwei Uhr fanden wir das Hotel. Drei gute Flüge, zwei davon wegen der Landung mit Null bewertet, ergaben für mich den zweitletzen Platz! Nüüt zum plagiere. Nach der Meisterschaft in Wald hatte ich keinen Schulflieger mehr, sondern einen «Hochleister», den BoraPirat. Wir flogen immer besser in der Thermik. An der SM79 in Genf gewann ich meinen ersten Titel, und wegen meiner Grösse, den krummen Beinen und dem  grossen Schnauz bekam ich den Namen «Asterix Helvetics». Nach sechs nervenaufreibenden und strengen Jahren für den Präsidenten Willi übernahm ich 1982 sein Amt. Mitglieder: 50. Mit dem Jahresprogramm und den Ausflügen in andere Fluggebiete verhalf ich doch auch vielen davon, sich fliegerisch zu verbessern. «Lueg e so gohts, und dänn muesch seckle!» Ich startete immer als letzter.

Die Scheidegg war beliebt. 1985 gab es fast 3150 Starts von 466 Piloten. Das waren die höchsten Zahlen. Dann wurden es weniger. Weil: Bessere Vögel und Piloten, längere Flüge, Distanzflüge, Landung von Zürioberländer Piloten zu Hause. „Militärflugplatz Dübendorf“ hat nie reklamiert, die Modellflieger ab und zu. Deshalb meist nur noch ein Start, wenn du nicht bei guten Verhältnissen abgesoffen bist.

Bis 1988 bin ich an Meisterschaften und in der Liga geflogen. Das war mir auch als Präsi möglich, weil ich mich immer auf gute, eigenständige und langjährige Mitglieder im Vorstand verlassen konnte. 1986/87 versuchten es die ersten Gleitschirmpiloten auf der Scheidegg. Auch bei ihnen ging es damals sehr abwärts. Der Landeplatz war das Ziel. Aber das änderte sich. Wem sage ich das? Auch einige unserer Deltapiloten erwarben mit einer „Kurzschulung“ das Brevet. Die neuen Scheideggflieger waren im DCZO willkommen. Im Fluggebiet hatten wir keine grossen Probleme und Aufgaben mehr. In meiner Zeit kannte ich die Mitglieder noch alle persönlich. Nach 17 Jahren gab ich die Verantwortung als Präsi in gute Hände ab. Seit dem ersten Start 1977 und meiner letzten Landung 2023 hatte ich gute Erlebnisse mit dem DCZO und auf der Alp Scheidegg.

Wer wär ich wohl ohni s`Flüüge? Wer und was han ich nöd alles törfe känelehre!

 

 

Die nächste Stafettenfolge übernimmt Alex Meyer.

PS: (die nachfolgende kurze Korrespondenz zwischen dem Alt – Präsi Werner Gübeli und dem aktuellen Präsi soll Euch nicht vorenthalten sein)

 

Herzlichen Dank Werner, für Deinen wertvollen Beitrag!
Besonders berührend finde ich, dass Du eben erst ganz bewusst einen letzten Flug von der Scheidegg gemacht hast.
Mit dem Delta, oder mit einem Gleitschirm?
Wie war das für Dich? Was ging Dir dabei durch Kopf und Herz?

Liebe Grüsse
Kaspar

 

Hoi Kaspar, ich flog immer Delta. Im Mai 22 hatte ich überraschend einen Herzinfarkt, und im April 23 den Symptomen nach "es Schlägli", jedoch ohne spürbare Folgen. Trotz medizinischer Begleitung ist eine Wiederholung der gesundheitlichen Schwierigkeiten nicht ausgeschlossen. Seit dem Juni 21 hatte ich keinen Flug mehr gemacht. 1977 habe ich mit grosser Freude angefangen und jetzt den Kreis geschlossen. Ich wollte es nicht einfach ausgehen lassen.

Beim Zusammenpacken und dem Blick nach oben zur Scheidegg war es recht schwer. Jetzt aber stimmt es für mich.

Liebe Grüsse     Werner