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Fliegen am Limit


02. Juni 2024

Fliegen am Limit

  • Erlebt und geschrieben von Nicolas Huber

Hallo zusammen,

Mit dem Bild einer punktgenauen Zapfenlandung in Verbier übergibt mir Erich Blättler in seinem Stafettenbericht den Stab. Mit seinen rund 37 Jahren Flugerfahrung kann ich zwar noch nicht mithalten, gerne erzähle ich euch aber von einem Wochenende, das mich als Pilot stark geprägt hat und bis heute meinen Alltag bestimmt.

Viele Jahre nach Erich’s Punktlandung in Verbier hatte auch ich die Gelegenheit, im Herbst 2021 in dieser Region zu fliegen. Am Swiss League Cup Final trafen sich dort zahlreiche ambitionierte Piloten/Pilotinnen, um sich zum Saisonschluss einen passionierten Wettkampf zu liefern (vgl. Abb. 1). Die Flüge in Verbier waren unglaublich intensiv und es war mein erster Wettkampf, an dem ich mich richtig wohl gefühlt habe. Nach einer unglücklichen Landung im Nirgendwo am ersten Tag, gelang beim letzten Task der Saison an Tag 2 ein guter Flug mit tollem Resultat. Das Grinsen war riesig und ich konnte die nächste Saison kaum erwarten.

 

Swiss League Cup Final 2021 (Martin Scheel)

Abb. 1: Swiss League Cup Final 2021 (Martin Scheel)

 

Die Freude wurde leider schon bald von einer traurigen Nachricht überschattet. Ein Ligapilot sei verunglückt und liege im Spital, hiess es noch am gleichen Abend. Mich überkam ein seltsames Bauchgefühl und doch sammelte ich Flug für Flug weiterhin meine Erfahrungen. Für eine lange Zeit begleitete mich dieses Gefühl auch in der Luft. Auf der Skipiste verletzte ich mich etwas später dann auch selbst und so verschaffte mir ein Jahr Flugpause viel Zeit, um über das Gleitschirmfliegen nachzudenken und mich mit grundsätzlichen Fragen zu beschäftigen. Wie weiter? Zugegebenermassen hatte mich an diesem Punkt die Angst vor einem schweren Absturz eingeholt und die Fragen drehten sich in meinem Kopf. Was heisst es, sicher unterwegs zu sein? Wann fliege ich gut und in welchen Situationen bringe ich mich in Gefahr? Und schliesslich: Wo liegt die Grenze zwischen Skills und «Glück gehabt»? Zur selben Zeit häuften sich die Zwischenfälle, besonders in meinem engeren Umfeld. Nicht selten endeten diese auch in schweren Unfällen. So beschloss ich, etwas dagegen zu unternehmen, um der Sicherheit in unserem schönen Sport einen Aufwind zu verleihen. Aber wie?

Mentaltraining und Sicherheitskurse über Wasser sind im Gleitschirmsport bereits gängiges Gut; über «Human Factors» ist man gut informiert und man versucht, den Trainingsgrad auf hohem Niveau zu halten. Ich denke, man weiss, wie man auf gefährliche Zustände wie Stalls oder Klapper reagieren sollte. Vielleicht eine technische Lösung, die uns unterstützt? Das ist es! So habe ich eine Arbeit geschrieben, die den Titel «Fliegen am Limit – Aktive Sicherheit im Gleitschirmsport» trägt und sich zum Ziel setzt, neue Perspektiven für die Gefahrenprävention zu schaffen. Sie präsentiert verschiedene Methoden, um das Fliegen mit dem Gleitschirm numerisch zu simulieren und so ein Verständnis für ausgewählte Flugzustände zu schaffen. In diesem Rahmen wird definiert, dass im Flug von Klappern und den darauffolgenden Kausalketten die grösste Gefahr ausgeht, zumal solche Zustände unberechenbar sind und im Gegensatz zum Stall auch ohne menschliche Fehler eintreten können. Auf dieser Grundlage sind schliesslich quantitative Analysemodelle für die Analyse von Gefahrenlagen, die vom Klapper ausgehen, entstanden. Diese Algorithmen ermöglichen ausserdem die Prognose von Klappern und so kann in Echtzeit eine Beurteilung über die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Zustände getroffen werden. Dieses Konzept wurde in einem ersten Prototyp erfolgreich implementiert und das System funktioniert wie gewünscht. Der aktuelle Stand der Entwicklung ist also ein System, welches unter Laborbedingungen zuverlässige Aussagen über die Stabilität der Schirmkappe und die aktuelle Wahrscheinlichkeit eines Klappers treffen sowie im Notfall eine Warnung abgeben kann. So hat man die Möglichkeit, frühzeitig in die Situation einzugreifen und die gefährliche Kausalkette, welche sich aus einem Klapper ergibt, im Ansatz zu stoppen. Meine Forschungsarbeit ist somit als «Proof of Concept» anzusehen und verdeutlicht das grosse Potenzial solcher Warnsysteme.

Wie geht’s nun weiter? Ich hatte die wertvolle Gelegenheit, mein Projekt u.a. am nationalen Wettbewerb von Schweizer Jugend forscht (SJf) in Fribourg zu präsentieren (vgl. Video und Abb. 2). Auch einige Gleitschirmpiloten/Gleitschirmpilotinnen haben den Weg an die Université de Fribourg auf sich genommen und das Feedback war überwältigend. Es haben sich neue spannende Ideen für die Weiterentwicklung ergeben und so ist mein neues Ziel, meine Technologie für die breite Masse zugänglich zu machen. Die Zusammenarbeit mit Industriepartnern und Inputs aus der Community sind an dieser Stelle interessante Perspektiven und im September wartet die grosse Chance, das Projekt am EUCYS (European Union Contest for Young Scientists) in Polen als Teil von «Team Switzerland» vorzustellen. Ich kann es kaum erwarten, unseren Sport in die Welt hinauszutragen und ich bin gespannt, wohin dieser Weg noch führt. Vielen Dank für eure grossartige Unterstützung.

 

Präsentation bei SJf (Medienbild)

Abb. 2: Präsentation bei SJf (Medienbild)

 

Nun, was lehrt uns diese Geschichte? Genau wie das Thermikfliegen gehören auch verschiedene Risiken zu unserem schönen Sport. Ganz egal ob du Flugschüler/-in bist, viel an der Scheidegg fliegst oder an Wettkämpfen teilnimmst – vor Zuständen wie Klappern kann sich niemand von uns abschliessend schützen und so trägt jeder/jede Pilot/-in die persönliche Verantwortung, sich mit dem Thema «Sicherheit im Flug» zu befassen. Richtig oder falsch gibt es hier nicht. Wichtig ist die persönliche Auseinandersetzung. Was den Gleitschirmsport in meinen Augen auszeichnet, ist die Kombination eines riesiges Kollektivwissens und einer einzigartigen Community; so profitieren wir voneinander und bringen unseren Sport jeden Tag einen kleinen Schritt voran. Mein persönlicher Ansatz für mehr Sicherheit beim Fliegen ist technisch und abstrakt, doch hoffe ich, so meinen Beitrag für mehr sichere Flüge leisten zu können. Und wie gehst du vor?

Ich hoffe, dass ich auch nach 37 Jahren voller erlebnisreicher Gleitschirmflüge auf eine unfallfreie Zeit zurückblicken darf. Unfälle sind keine Schande, und dennoch fürchten wir uns alle davor. Deren Prävention ist mir daher ein grosses Anliegen. Passt auf euch auf beim Fliegen!

 

Allzeit Happy Landing und herzliche Grüsse,

Nicolas Huber

 

PS: Gerne reiche ich den Stafettenstab an Fabienne Hohl weiter.